Ein Investor errichte mehrere Gebäude, die er nach Fertigstellung veräußerte. Wegen Corona und anderen unerwarteten Störungen blieb das Projekt hinter den wirtschaftlichen Erwartungen deutlich zurück. Statt des erwarteten Gewinns schloss das Projekt mit einem deutlichen Minus ab. In dieser Situation verlangte ein Fachingenieur anstelle des vereinbarten Pauschalhonorars das sich aus der HOAI ergebende Mindestsatzhonorar, das den Verlust weiter vergrößern würde.
Beide Vertragspartner holten Sachverständigengutachten ein, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führten. Die Sachverständigen waren sich hinsichtlich der Anzahl der abzurechnenden Objekte, der Honorarzone und der Ermittlung der anrechenbaren Kosten absolut uneinig.
Auch die beteiligten Anwälte verhandelten, ohne dass es zu einer Lösung kam. Die wirtschaftlichen Vorstellungen lagen zu weit auseinander. In dieser Situation einigten sich die Vertragspartner auf eine Schlichtung und mich als Schlichterin.
Das Verfahren
Ich habe im ersten Schritt mit den Kollegen eine Videokonferenz durchgeführt, in der wir zu Dritt über das Verfahren gesprochen haben. Dabei habe ich deutlich gemacht, dass die Anwälte die Profis für die rechtliche Bewertung und die Vertragspartner die Profis für den Sachverhalt sind, den es zu klären gilt. Damit erreicht man, dass die Anwälte in die Verhandlung die Bereitschaft mitbringen, sich zunächst zurückzuhalten und die Parteien zu Wort kommen zu lassen. Im nächsten Schritt habe ich den Parteien aufgegeben, den Sachverhalt auf zehn Seiten mit maximal drei Anlagen darzustellen. Das ist bei komplexen Sachverhalten eine arbeitsintensive Aufgabe. Sie ist von großer Bedeutung, weil es die Parteien zwingt, sich auf das wesentliche fokussieren. Diese Darstellung lasse ich auch der jeweils anderen Partei zukommen.
Entschleunigen, nachfragen, klären
Ebenso wichtig sind die vertraulichen Informationen, die ich von jeder Seite erbitte. Dazu gehört insbesondere auch, dass die Vertragspartner sich dazu äußern, woran eine einvernehmliche Lösung in der Vergangenheit gescheitert ist. Ziel ist, dass die Vertragspartner sich schon einmal in die Position des Anderen versetzen und einen Perspektivwechsel vollziehen. Diese Informationen sind vertraulich. Sie helfen mir, den Konflikt besser zu verstehen. Die Schlichtungsverhandlung hat sich dann wenige Tage später angeschlossen. Ich setze Schlichtungsverhandlungen immer auf einen Tag an und berechne auch einen Tagessatz. Ein Schlüssel zum Erfolg ist die „Entschleunigung“ – Nachfragen und Sachverhalte klären sind wichtige Instrumente. Jeder Zeitdruck ist schädlich und insbesondere darf nicht der Eindruck entstehen, der Schlichter frage nach, um „Zeit zu schinden.“ Der Tagessatz ist eine Pauschale, die Vorbereitungszeit rechne ich auf Zeit ab. Auch in diesem Fall ist es gelungen, beiden Seiten ihre Chancen und Risiken aufzuzeigen und eine Einigung zu erzielen. Für mich ist es ein besonderer Erfolg, wenn die Vertragspartner schließlich auch persönlich aufeinander zugehen und sich mit einem Handschlag verabschieden.
Meine Erfahrung ist: Ein Schlichtungsversuch lohnt sich immer!
Es ist auch ein gutes Ergebnis, wenn der Streitstoff abgeschichtet wird und nur noch einzelne Aspekte einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden müssen.
Heike Rath
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Bau-und Architektenrecht
Schlichterin für Baustreitigkeiten
Mitbegründerin der ARGE Baurecht und
Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss