„Mit einer Baumaßnahme darf vieles geschehen, sie darf nur nicht zu Gericht müssen.“
Kommentar für die ARGE informiert Ausgabe 3/13 von Prof. Stefan Leupertz, Schiedsrichter, Schlichter, Adjudikator, Richter am Bundesgerichtshof a. D.
29.06.2013 – Auf der 41. ARGE-Tagung am 22./23. März 2013 in Dresden haben sich die Vorsitzende Richterin am Landgericht Köln Turid Auweiler und Rechtsanwalt Dr. Jürgen Lauer aus Köln in einem gemeinsamen Referat mit der „Beschleunigung von Bauprozessen“ beschäftigt. Wohlgemerkt: Gemeint waren nicht Bau- sondern Gerichtsverfahren und der Blick war gerichtet auf die Richter und ein bisschen auch auf die Anwälte, die mit solchen Verfahren befasst sind. Mit feiner Klinge haben die Referenten herausgearbeitet, welche Möglichkeiten das Gesetz dem Richter und den übrigen Beteiligten bietet, Bauprozesse zielgerichtet zu lenken und zu einer möglichst raschen Entscheidung zu bringen, ohne dass die Qualität des Richterspruches hierunter leidet. Solche Möglichkeiten gibt es, sie liegen in der Rechtspraxis allerdings oft brach. Schon deshalb ist es richtig, den Überlegungen der Referenten, die in Heft 7/13 der BauR in Aufsatzform veröffentlicht werden, Gehör zu gewähren. Indes: Selbst wenn die im Gesetz verankerten Möglichkeiten für eine Ökonomisierung von Bauprozessen genutzt würden, wäre der Befund einigermaßen ernüchternd.
Aus Fachkreisen ist mehr und mehr tief gehender Argwohn gegen die Qualität staatlicher Rechtsfindung zu hören und es muss sich Grundsätzliches ändern, damit der Spruch nicht weiter die Runde macht, „mit einer Baumaßnahme dürfe vieles geschehen, sie dürfe nur nicht zu Gericht müssen“.
Um es vorweg zu nehmen: Ich teile den zuweilen zu hörenden Vorwurf nicht, in Bausachen tätige Richter seien oft indolent oder unwillig oder inkompetent oder gar alles zusammen. Das Gegenteil ist der Fall, sieht man einmal von den auch in Bereichen staatlich verordneter Unfehlbarkeit unvermeidlichen „schwarzen Schafen“ ab. Gerade die jungen RichterInnen (die geschlechtsneutrale Bezeichnung ist an dieser Stelle mit Bedacht gewählt; im Übrigen weigere ich mich allerdings, „genderneutrale“ Sprachverstümmelungen zum Maß für praktizierte Gleichberechtigung zu erheben) sind gut ausgebildet, oft hochmotiviert und in der Regel durchaus bereit, sich den Anforderungen zu stellen, die sich aus dem geschäftsplanmäßig erzwungenen Umgang mit einer weitgehend unbekannten Rechtsmaterie ergeben. Dennoch müssen wir der Realität ins Auge sehen:
Was soll ein in Bausachen unerfahrener Richter denn machen, wenn er einen Bauverzögerungsfall entscheiden muss, in dem es von „AGK’s, BGK’s, Arbeitswerten, Mittellöhnen“ und (nachgefertigten) „Urkalkulationen“ nur so wimmelt?
Alles Dinge, mit denen er wenig anzufangen weiß, weil er sich mit baubetrieblichen Grundsätzen nicht auskennt. Wie denn auch? Er ist universal ausgebildeter Jurist und wird von der Justiz dementsprechend eingesetzt: Noch drei Monate zuvor hat der plötzlich zum Experten für Bauverzögerungen verdammte Richter Strafsachen bearbeitet; die Zivilkammer, der er jetzt angehört, hat sich soeben noch mit einem Arzthaftungsfall befassen müssen. Wo soll da baubetriebliches oder bautechnisches Grundwissen herkommen? Doch damit nicht genug: Unseren Richter verlassen selbst die Kräfte fundierter Rechtskenntnis ganz schnell, wenn er merkt, dass das Gesetz zu bauverzögerungsbedingten Ansprüchen schweigt und stattdessen eine umfangreiche, überaus fein ziselierte und zudem nicht widerspruchsfreie Kasuistik regiert, die zu überblicken selbst ausgewiesenen Baurechtsspezialisten nicht leicht fällt, ganz zu schweigen von ihrer kaum noch handhabbaren Anwendung auf den praktischen Fall.
Baurecht ist, nicht nur in solchen Extrembereichen, zu einer absoluten Spezialmaterie geworden.
Dementsprechend werden die Parteien in Bauprozessen regelmäßig von hochspezialisierten Anwälten vertreten. Sie treffen aus den genannten Gründen allerdings nicht selten auf – freilich unverschuldet – unbedarfte Richter, die nicht auf Augenhöhe mit den anwaltlichen Parteivertretern agieren (können). So scheitert staatliche Rechtsfindung im Einzelfall und sie büßt mit schwindender Akzeptanz zunehmend ein an natürlicher Autorität, die der Eckpfeiler einer funktionierenden Rechtsprechung ist.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich plädiere nicht für die Abschaffung der staatlichen Ausbildung zum Universaljuristen. Wer die komplizierten Strukturen und Verknüpfungen des (Zivil-) Rechts nicht in ihrer Breite erforscht und verstanden hat, wird erst recht im Umgang mit juristischer Spezialmaterie scheitern. Der Umkehrschluss ist allerdings falsch: Universal ausgebildete Juristen zu wollen rechtfertigt es nicht, sie aus Gründen der Geschäftsverteilungsarithmetik ein ganzes Berufsleben auf diesem Stand zu halten. Wo eine geordnete Rechtsfindung Spezialwissen erfordert, muss gerade der Richter solches Wissen besitzen, und zwar nicht nur im Einzelfall, sondern flächendeckend. Dass setzt regelmäßige Fortbildung und vor allem den Abschied von der tief in der Justizverwaltung verwurzelten Vorstellung voraus, ein guter Richter sei nur derjenige, der sich als vielverwendbar erwiesen habe. Bis heute gehen die Beförderungen zum Vorsitzenden eines (spezialisierten!) OLG-Senats regelmäßig einher mit einem Senatswechsel. Wer sich also fünf Jahre als Beisitzer in einem Bausenat bewährt hat, findet sich, will er nicht auf die Fortsetzung seiner Richterkarriere verzichten, unversehens als Vorsitzender eines Familiensenats wieder. So zerstört man mühsam erworbene, dringend benötigte Kompetenz und ich bin nicht bereit zu glauben, dass sich keine anderen Strukturen für einen gut funktionierenden Justizapparat schaffen lassen, mit denen die Herausbildung fachlicher Expertise gefördert und belohnt wird. Die Einführung von Baukammern und Bausenaten wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Allerdings wird die vom BMJ in der „Arbeitsgruppe Bauvertragsrecht“ in diese Richtung angestoßene Initiative voraussichtlich insbesondere deshalb scheitern, weil die Länderjustizverwaltungen – vorsichtig ausgedrückt – wenig Bereitschaft zeigen, diesen Gedanken mitzutragen. Dafür mag es Gründe geben. Tragend sind diese Gründe, auf die näher einzugehen an dieser Stelle kein Raum ist, nicht.
Befremden muss schließlich, dass der Gedanke des universal ausgebildeten und einsetzbaren Juristen gerade dort erodiert, wo er unverzichtbar ist. Relationstechnik ist das Handwerkszeug des Richters. Sie gehört seit den 90’er Jahren bspw. in Nordrheinwestfalen gleichwohl nicht mehr zum zwingend vorgesehenen Unterrichtsstoff in der Referendarausbildung und es wird auch im zweiten juristischen Examen nicht mehr dezidiert geprüft, ob entsprechende Kenntnisse vorhanden sind. Das scheint mir ein wenig so, als gehe man davon aus, der Zimmerer könne einen Dachstuhl herstellen, ohne Hammer und Nagel zu verwenden. Die Auswirkungen solch wirklichkeitsfremder Überlegungen werden uns täglich vor Augen geführt. Beweisbeschlüsse ohne erkennbares Ziel, ungenaue Beweisfragen, Bauprozesse, in denen Sachverständige die entscheidenden Rechtsfragen unbeanstandet gleich mit beantworten und nicht zuletzt Überraschungsentscheidungen sind nicht selten das Ergebnis einer Missachtung grundlegender relationstechnischer Spielregeln. Wer diese Regeln kennt und sie ernst nimmt, begeht solche Fehler nicht.
In diesem Sinne: Vertragt Euch!